Eröffnungsrede von Thomas Kahlau bei der Vernissage der Internationalen Kunstausstellung in Frankfurt

Nur ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit brach mir das Genick. Seitdem kann ich nur noch meinen Kopf bewegen. Ich war damals 15 Jahren alt. Mein Leben schien zu Ende, bevor es richtig begonnen hatte. Die Ärzte im Potsdamer Krankenhaus prognostizierten, dass ich den Unfall nicht lange überleben werde. – Auch Ärzte irren. Mein Lebenswille war stärker. Heute, fast 40 Jahre später, bin ich immer noch da und sitze nun vor Ihnen als ein zufriedener und glücklicher Mensch. Durch die Unterstützung, besonders meiner Eltern und meiner Schwester, verlor ich nicht den Lebensmut in dieser schweren Zeit in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen.

Nach anderthalb Jahren gab man mich in die Obhut meiner Eltern zurück. Schwerbehindert im Rollstuhl sitzend und von einer langen unsachgemäßen Behandlung gezeichnet. – Meine Eltern pflegten mich und gaben mich nie auf. So gab ich mich auch nicht auf. Eines Tages steckte mir mein Vater einen Stift zwischen die Zähne. „Nun schreibe!“, sagte er. Und ich schrieb. – Ich versuchte es. – Die Krakel ähnelten eher den Spuren von Krähenfüßen bei einem Stepptanz. Ich biss stärker zu und konzentrierte mich. Nun schaffte ich meinen Namen zu schreiben. Er war deutlich zu lesen.
Diese zittrigen Buchstaben waren der Anfang von dem, was ich heute bin. – Wohin es geführt hat, können Sie unter anderen Bildern auch hier in dieser Ausstellung sehen.

In der DDR gab es kaum Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung. Mein Vater baute mir ein Gestell mit dem ich schreiben und zeichnen konnte. Bald entstanden erste Blätter mit Faser- und Bleistift. Das war mehr aus Langeweile und in Form einer Beschäftigungstherapie. Doch die Ergebnisse gefielen und diese Betätigung brachten mir Spaß und Freude in meinen Alltag. Meine Eltern sahen meine Freude und die Fortschritte und brachten verschiedene Lehrer ins Haus. Ich hatte für mich etwas gefunden und biss mich darin fest – im wahrsten Sinne des Wortes.

Mein Vater baute mir eine Vorrichtung zum Malen. Bilder entstanden – jetzt in Farbe und noch ganz klein. Mein Lehrer regte an, mal Ölfarben auszuprobieren. Vater tüftelte und baute: Es funktionierte. Ich malte Bilder in Öl. Welch eine Freude! 

Ich kannte schon damals Kunstkarten mit mundgemalten Motiven. Unsere West-Tante – so nannten wir sie damals – bekam diese von einem Verlag zugesandt und schickte sie uns als Weihnachtsgrüße in die DDR. Ich wollte auch einmal so wie diese Künstler malen können.

Einer dieser Zufälle, die ein Leben verändern können, kam in Form eines Freundes zu mir. Er hatte über mehrere Ecken von einem Mundmaler erfahren, der in irgendeiner Mund- und Fußmaler-Organisation sein sollte. Der Mundmaler war Reinhard Melzer aus Berlin. Auch von ihm hängen heute Bilder hier. Über ihn nahm ich den Kontakt zur Vereinigung der Mund- und Fußmalenden Künstler in aller Welt (VDMFK) auf. – So ist die korrekte Bezeichnung. 

Ich bewarb mich mit einer kleinen Auswahl meiner gemalten Bilder um ein Stipendium. Die Expertenjury der VDMFK entschied, dass ich ein förderungswürdiges Talent hätte. Ich konnte damals nicht abschätzen, was das für meine Zukunft bedeutete. Hätte ich es geahnt, hätte mein Freudenausbruch wohl jeden Seismographen gesprengt. So war ich nur stolz und freute mich wie ein kleines Kind. Es war der Beginn eines sinnvollen Lebens und die Entdeckung eines Berufes, der zu einer Passion wurde.

Hier ähnelt meine Biografie in vielen Zügen den Biografien zahlreicher meiner mund- und fußmalenden Künstlerkollegen. Das verbindet. Und uns vereint die Liebe zur Malerei. So ist unsere Vereinigung ein doppelt festes Band, auch wenn wir, die wir dieser Selbsthilfeorganisation angehören, weit in der Welt verstreut leben. 

Mein Weg führte über den Status eines Stipendiaten zu einem Assoziierten Mitglied und schließlich 1996 zum Vollmitglied der VDMFK. Auf unserer Vollversammlung in Wien wurde ich von den Mitgliedern der VDMFK in den Vorstand der Vereinigung gewählt. Dieses Votum bedeutet für mich eine hohe Verantwortung und einen großer Vertrauensbeweis. Es motiviert mich täglich in meiner Arbeit.

Hin und wieder nehmen wir Künstler eine lange Reise auf uns. Wir treffen uns irgendwo auf der Welt wie hier heute in diesem schönen Haus in Frankfurt und zeigen unsere Bilder interessierten Menschen. In dieser Ausstellung liegt der Schwerpunkt bei den deutschen Künstlern. Unsere Anreise war dadurch aus Deutschland dieses Mal nicht ganz so weit. 

Umso mehr freuen wir uns, dass sogar der Präsident unserer Vereinigung, Serge Maudet, aus Frankreich und unser Direktor, Mario Famlonga, zu uns gekommen sind. Wir deutsche Künstler sehen dies als große Wertschätzung für unser künstlerisches Bestreben und für die gute Arbeit unseres Verlages: dem Mund- und Fußmalende Künstler Verlag aus Stuttgart. Unserem Verlag mit ihrem zwar kleinen, aber dafür umso engagierteren Team – unter Leitung des von uns allen hoch geschätzten Florian Stegmann – sind wir sehr dankbar. Mit der Herstellung und dem Versand der Kalender und Karten hilft dieses Team, unseren Lebensunterhalt zu sichern. Es sorgt aber auch dafür, dass wir uns weiterentwickeln können. Der beliebte alljährliche Workshop in Potsdam für die deutschen Künstler steht immer fett markiert in unseren Terminkalendern.

Für uns ist es heute ein sehr willkommener Anlass, allen Mitarbeitern des MFK-Verlages einmal Danke zu sagen. Diese Ausstellung hier in Frankfurt – hauptsächlich organisiert von unserem Verlag mit Unterstützung der VDMFK und dem Haus am Dom – ist für uns ein wahres Highlight in unserem künstlerischen Alltag.

Liebe interessierte Besucher und Freunde unserer Kunst, wir freuen uns, dass Sie hier heute unserer Einladung zum Schauen und Kennenlernen gefolgt sind und hoffen, dass diese Ausstellung auch für Sie zu einem Highlight wird. Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und wir danken unseren treuen Kunden. Ohne Sie wäre dies alles nicht möglich. Ihnen möchten wir besonders herzlichen Dank sagen.

Wenn ich schon einmal die Gelegenheit habe, möchte ich auch unseren treuen Begleitern aus Familie, Freundeskreis und Serviceeinrichtungen danken. Ohne sie wären unsere Ziele unerreichbar. Erfreuen Sie sich nun an den Bildern, schauen Sie uns beim Malen über die Schulter – Sie werden heute und morgen die Gelegenheit dazu haben – und sprechen Sie uns an. Gern beantworten wir Ihre Fragen und erzählen aus unserem Leben mit der Malerei.

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